Entstehungsgeschichte

1844, Schiraz, Persien. In einem unscheinbaren Haus der Stadt findet die historische Begegnung des Báb mit Seinem ersten Jünger statt. Im Laufe der Nacht erklärt der Báb, dass Er eine neue Botschaft von Gott für die Menschen empfangen habe und eine neue Zeit angebrochen sei. Er erklärt, dass die Menschen neue Regeln und Gesetze brauchen und dass eine neue weltumfassende Offenbarung Gottes schon bald zu erwarten sei. Damit wird – ähnlich wie Johannes der Täufer im Christentum – der Báb zum Wegbereiter der Bahá’í-Religion.

1863, Bagdad, Irak. In den 19 Jahren seit der ersten Verkündigung durch den Báb hatte diese Erneuerungsbewegung den Iran ergriffen und eine Flut von Verfolgungen ausgelöst. Der Báb wurde öffentlich hingerichtet, Tausende Seiner Anhänger starben ebenfalls aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit. Die Bewegung erschütterte das Machtgefüge der Geistlichkeit und führte dazu, dass Frauen sich gegen ihre Unterdrückung erhoben und die Gleichberechtigung einläuteten. Zu den vorrangigsten Verfechtern der ersten Stunde gehörte Bahá’u’lláh, der im Zuge dieser Verfolgungen nach Bagdad verbannt wurde und dort eine kleine Gemeinde aufbaute, die zum Zentrum der Erneuerungsbewegung des Báb werden sollte. Für die Behörden des persischen und des osmanischen Reiches war Sein Einfluss so besorgniserregend, dass sie beschlossen, Ihn weiter zu verbannen. Am Vorabend Seiner Abreise aus Bagdad, 19 Jahre nach der Ankündigung durch den Báb, erklärte Er im Kreise seiner Familie, Freunde und Gefährten das, was schon viele vermuteten: dass Er der vom Báb verheißene Gesandte Gottes sei, der der Menschheit eine neue Offenbarung Gottes bringe.

1817 – 1892, von Teheran nach Akka. Bahá’u’lláh, der als Sohn eines persischen Ministers in jedem erdenklichen Luxus aufgewachsen war, dem eine strahlende Zukunft am Hofe des Shah in die Wiege gelegt worden war, der durch seinen Einsatz für die Schwächsten im Volke schon in Seiner Jugend als „Vater der Armen“ bekannt wurde, musste eine lebenslange Verbannung unter härtesten Bedingungen ertragen, eine Verbannung, die Ihn zunächst nach Bagdad geführt hatte, von dort nach Konstantinopel (Istanbul), weiter nach Adrianopel (Edirne) und über Alexandria schließlich bis nach Akka in Palästina, wo er 1892 verschied und beigesetzt wurde. Sein Heiliges Grabmal in Akka ist heute Ziel der Verehrung der Bahá’í auf der ganzen Welt, Ziel der Pilgerfahrt und Gebetsrichtung der Bahá’í.

Der Bund Gottes

1892 – 1921, Aufbruch in die ganze Welt. Bahá'u'lláh bestimmte testamentarisch, dass nach Seinem Tode Sein ältester Sohn ’Abdu’l-Bahá das Oberhaupt des Glaubens und alleiniger rechtmäßiger Ausleger Seiner Schriften sei. Dieser in der Religionsgeschichte einmalige göttliche Bund stellt sicher, dass die Einheit des Glaubens gewahrt bleibt und jeder Spaltungsversuch scheiterte. Er stellt die Unversehrtheit der Heiligen Schriften sicher und legt die unverrückbare Grundlage für eine weltweite Verbreitung. ’Abdu’l-Bahá begab sich, damals schon im hohen Alter, kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges auf eine Reise in den Westen, bei der er die kleinen keimhaften Gemeinden in Europa und Amerika besuchte und ihnen damit einen nachhaltigen Wachstums- und Entwicklungsschub verlieh. Er errichtete die von Bahá’u’lláh vorgesehenen demokratischen Institutionen des Glaubens. Er begleitete Freunde, Gruppen und Gemeinden in ihrer Entwicklung zu dem, was heute die Gemeindeordnung der Bahá’í darstellt. Heute ist die Bahá'í-Religion nach dem Christentum bereits die geographisch am weitesten verbreitete Religion (Quelle: Encyclopedia Britannica).

Die Lehren der Bahá’í-Religion

Eine Religion mit dem ungeheuren Anspruch, das Heilmittel für die ganze Welt zu bieten, hat natürlich einen großen Fundus an Lehren und Weisheiten, Geboten und Gesetzen, Verwaltungsstrukturen und Einrichtungen. Im Wesentlichen haben alle Lehren zwei Zielrichtungen: der Einzelne, seine geistige Entwicklung und sein Wohl, sowie die Gesellschaft, ihre Entwicklung vor Ort und auf der ganzen Welt. Hier einige der Lehren:

Gottesbild

Die Bahá’í glauben an einen Gott, jene Schöpferkraft, an die auch Juden, Christen und Muslime glauben. Damit erkennen die Bahá’í alle bestehenden Weltreligionen in ihrem Wesenskern und Ursprung an. Hauptunterschied zwischen den Religionen ist der Zeitpunkt ihrer Offenbarung, denn die Botschaft eines jeden Religionsstifters ist den Nöten und Erfordernissen der jeweiligen Zeit angepasst. Gott selbst ist in jedem Fall unerkennbar und dem Menschengeist verborgen. Er gibt sich durch Seine Schöpfung und durch die Offenbarung zu erkennen.

Menschenbild

Der Mensch als Geschöpf Gottes ist Seele in einem menschlichen Körper. Die Unterschiede, die wir zwischen den Menschen wahrnehmen, beziehen sich auf äußere Merkmale. Die Seele bleibt von körperlichen Unterschieden unberührt. Unser irdisches Dasein sollte dazu dienen, uns geistig zu entwickeln und mit unseren Mitmenschen in Liebe und Freundschaft zusammen zu leben. Bahá’u’lláh schreibt: „Wisst ihr, warum Wir euch alle aus dem gleichen Staub erschufen? Damit sich keiner über den anderen erhebe. Bedenket allzeit in eurem Herzen, wie ihr erschaffen seid. Da Wir euch alle aus dem gleichen Stoff erschufen, ziemt es euch, wie eine Seele zu sein, auf selbem Fuße zu wandeln, in gleicher Weise zu essen und im selben Lande zu wohnen…“ und an anderer Stelle sagt Er: „Betrachte den Menschen als ein Bergwerk reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert, nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus  Nutzen ziehen kann.“

Weltfrieden

Ein wesentliches Ziel der Bahá'í ist der Weltfrieden, der natürlich nicht auf Unterdrückung, sondern auf der Einheit der Menschheit in ihrer Vielfalt basiert. Bahá’u’lláh sieht verschiedene Maßnahmen vor, um dieses Ziel zu erreichen. Vorbedingungen dazu sind z.B. die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die weltweite Annahme einer Welthilfssprache, die an allen Schulen der Welt gelehrt wird, Abrüstung, Gerechtigkeit und das Beratungsprinzip zur Problemlösung. Er fordert, eine weltweite Versammlung einzuberufen, an der sich alle Regierungen der Erde beteiligen und solche Mittel und Wege erörtern, die zum Weltfrieden führen. Bahá'u'lláh schreibt ferner: „Sollte ein König seine Waffen gegen einen anderen erheben, so müssen sich alle vereint erheben und ihn daran hindern. (...) Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt. Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger.“

Armut und Reichtum

In einer Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom 1. März 2017 heißt es: „Die Menschheit als ganze leidet, wenn eine Gruppe nur an ihr eigenes Wohlergehen denkt, losgelöst von dem ihrer Nachbarn, oder wenn sie nach wirtschaftlichem Gewinn strebt ohne Rücksicht auf Folgen für die Natur, die Lebensgrundlage aller. Bedeutender sozialer Fortschritt wird so hartnäckig blockiert: Immer wieder setzen sich Habgier und Eigennutz auf Kosten des Allgemeinwohls durch. Hemmungslos wird exzessiver Reichtum zusammengerafft…“

Bahá’u’lláh erklärte: „Die Armen in eurer Mitte habe ich euch anvertraut, darum behütet die euch Anvertrauten und trachtet nicht nur nach eurem eigenen Wohlergehen.“

An anderer Stelle schreibt Er: „O ihr, die ihr euch vergänglichen Reichtums brüstet! Wisset fürwahr, dass Reichtum eine mächtige Schranke ist zwischen dem Sucher und seinem Verlangen, dem Liebenden und seinem Geliebten.“

Und Abdu’-Bahá erklärt: „Es ist ebenso wichtig den Reichtum zu beschränken, wie auch die Armut zu begrenzen. Keines der beiden Extreme ist gut, höchst wünschenswert ist der Mittelweg.“ Dies bedeutet nicht, dass man durch rechtschaffene Arbeit nicht wohlhabend werden dürfte. Im Gegenteil: Wohlstand ist wünschenswert, wenn er auch zum Wohle der Mitmenschen eingesetzt wird und sofern die ganze Bevölkerung in Wohlstand lebt.

Siehe auch: https://www.bic.org/statements/armutsbekämpfung-einig-voran-schreiten

Gleichberechtigung

’Abdu’l-Bahá sagt: „Die Welt des Menschen besitzt zwei Schwingen – die männliche und die weibliche. Solange diese beiden Schwingen nicht gleich stark sind, wird der Vogel nicht fliegen. Solange die Frau nicht die gleiche Stufe erreicht wie der Mann, solange ihr nicht das gleiche Betätigungsfeld offensteht, wird die Menschheit nichts Außergewöhnliches erreichen, kann die Menschheit nicht ihren Flug zu den Höhen wahrer Vollkommenheit nehmen.“

Bildung

Allen Eltern ist es zu Pflicht gemacht für die bestmögliche Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen. Alle Menschen müssen zumindest Lesen und Schreiben lernen. Alle sollen das Recht haben, einen Beruf auszuüben.

Religion und Wissenschaft

’Abdu’l-Bahá sagt, man dürfe nichts annehmen, was der Verstand verwirft. Beide Kräfte, sowohl die Religion als auch die Wissenschaft beschreiben nur eine Wirklichkeit und sollten somit im Einklang stehen. Beide werden mit den Augen am Körper der Menschheit verglichen und beide sind unverzichtbar. Religion allein würde zu Aberglauben führen, während Wissenschaft allein zu Materialismus führt.

Eigenständige Suche nach Wahrheit

Die Suche nach Wahrheit bedeutet, mit seinen „eigenen Augen und nicht mit den Augen anderer“ zu sehen. Es geht also um einen Prozess geistiger Entdeckung mit einem starken Gefühl für Gerechtigkeit und Offenheit. Dies ist ein Prozess der Kreativität und Wandlung, der, wenn er mit Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit verfolgt wird, dem Sucher nach Erkenntnis „ein neues Auge, ein neues Ohr, ein neues Herz und einen neuen Geist“ schenken kann.

Geistige Verpflichtungen

Der einzelne Bahá’í sollte zu seinem eigenen Nutzen einige wenige Gebote in seinem täglichen Leben befolgen. Dazu gehört das tägliche Pflichtgebet, das Lesen in den Schriften und einmal im Jahr eine kurze Fastenzeit von 19 Tagen. Auch für die Hochzeit und für die Beerdigung sieht die Bahá’í-Religion einige wenige Regeln vor. Die größte Verpflichtung von allen ist aber, sein Leben nach den religiösen Geboten auszurichten, seinen Charakter zu veredeln und dem Wohle der Gesellschaft zu dienen.

Verwaltung

Im Bahá’í-Glauben gibt es keinen Klerus, der der Gemeinde vorsteht. Den Zusammenhalt und die Verwaltung der Gemeinde stellen „Geistige Räte“ auf örtlicher und nationaler Ebene sicher. Diese Räte bestehen aus neun Personen. Sie werden jährlich neu von den Gemeindemitgliedern gewählt. Darüber hinaus gibt es Institutionen auf internationaler Ebene, einschließlich der höchsten Körperschaft, dem Universalen Haus der Gerechtigkeit, mit Sitz in Haifa im Heiligen Land. Auch das Universale Haus der Gerechtigkeit wird gewählt. Neben diesen Säulen der Gemeindeordnung gibt es weitere Strukturen, um den Belangen eine Weltgemeinde gerecht zu werden. Dazu gehören auch Feste und Feiertage.

Das Neunzehntagefest

Größte Bedeutung für das Gedeihen eine Gemeinde hat das Neunzehntagefest. Es verdankt seinen Namen dem Bahá’í-Kalender, der das Jahr in 19 Monate mit jeweils 19 Tagen aufteilt. Das Fest findet einmal im Bahá’í-Monat, also alle 19 Tage statt. Es deckt die drei wesentlichen Aspekte einer nach geistigen Prinzipien lebenden Gemeinde ab. Die Freunde kommen zusammen, beten gemeinsam, dann beraten sie miteinander über verschiedenste Themen, die mit dem Glauben und der Gemeindeentwicklung zusammenhängen. Anschließend gibt es Gelegenheit zu geselligem Beisammensein mit einem gemeinsamen Mahl und inspirierenden Gesprächen in kleinen Gruppen. Das Neunzehntagefest dient auch dazu alle Freunde in der Gemeinde so gut kennenzulernen, dass jeder bei den jährlichen Wahlen des Geistigen Rates, die ohne Kandidatur und ohne Wahlpropaganda stattfinden, eine gute Entscheidung treffen kann.

Feiertage

Viele der Lebensereignisse des Religionsstifters Bahá’u’lláh sowie des Vorläufers und Wegbereiters Báb werden im Laufe des Kalenderjahres geehrt und feierlich begangen. Insgesamt sind es neun Tage, an denen die Bahá’í die Arbeit ruhen lassen, dazu gehören die Geburt, die öffentliche Verkündigung und das Hinscheiden Bahá’u’lláhs und des Báb.